• 100 Bundesgerichtsentscheide

    BGE 101 II 177 – Herztransplantation

    Vor 55 Jahren, am 14. April 1969, wird in der Schweiz zum ersten Mal ein Herz transplantiert. Die Presse jubelt über den gelungenen Eingriff. Doch die Freudesstimmung ist nur von kurzer Dauer. Bald stellt sich heraus, dass die verantwortlichen Ärzte die Angehörigen des Spenders weder um ihre Einwilligung für die Herztransplantation gebeten, noch über die Organentnahme überhaupt informiert haben. Die geschockten Eltern des verstorbenen Spenders können die Sache nicht auf sich beruhen lassen: «Sonst werden demnächst noch Leute von der Strasse geholt zur Herztransplantation». Sie verlangen eine Genugtuung wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte nach Art. 28 ZGB. Der Fall landet vor dem Bundesgericht.

    Es ist nicht das letzte Mal, dass sich das Bundesgericht mit den Folgen einer Herztransplantation auseinandersetzen muss. Am 20. April 2004, also fast genau 35 Jahre nach der ersten Herztransplantation in der Schweiz, kommt es am Unispital Zürich zu einem tragischen Missverständnis. Bei einer Herztransplantation werden die Blutgruppen des Spenderorgans und der Herzempfängerin vertauscht, die Patientin verstirbt. In einem Zeitungsartikel wird unter Berufung auf drei gut informierte Quellen ausgeführt, dass der Chefarzt der Patientin bewusst das «falsche Herz» eingesetzt habe, weil man eine medizinische Heldentat habe vollbringen wollen. Die Staatsanwaltschaft verlangt gerichtlich, dass der Journalist die Quellen seines Berichts offenlegt, damit die Umstände der fatalen Operation untersucht werden können. Der Journalist zieht den Fall ans Bundesgericht (BGE 132 I 181).

    Zur Geschichte der Organspende in der Schweiz sei auf das Buch «Umstrittene Körperteile» von Simon Hofmann verwiesen, das open Access verfügbar ist.

    BGer 1B_175/2008 vom 5.8.2008 – Tinner

    Am 20. Februar 2004: Ein malaysischer Untersuchungsbericht legt mutmassliche Verbindungen der Ostschweizer Geschäftsleute Tinner zum berüchtigten Proliferationsnetzwerk von Abdul Quadeer Kahn offen. Die Tinners sollen eine zentrale Rolle bei der Herstellung und Beschaffung von Zentrifugen zur Urananreicherung gespielt haben. In der Schweiz werden die Ermittlungen aufgenommen. Dabei kommen nicht nur Verbindungen der Tinners zur CIA, sondern auch Pläne zum Bau von Atomwaffen ans Licht. Der Bundesrat beschliesst auf Druck der USA, die brisanten Akten vernichten zu lassen. Doch bald tauchen Kopien davon wieder auf. Die Strafverfolgungsbehörden fordern den Bundesrat dazu auf, die Akten herauszugeben. Es kommt zum Schlagabtausch der Staatsgewalten.

    BGE 30 II 184 – Gotthardbahngesellschaft

    3. Januar 1900: Das Schweizer Militär will im Gotthardtunnel eine Vorrichtung zur Tunnelverteidigung verbessern. Doch bei den Arbeiten kommt es zum Unglück: Ein Zug entgleist im Gotthardtunnel und es kommt zu erheblichem Sachschaden. Die Gotthardbahngesellschaft verlangt daraufhin Schadenersatz vom eidgenössischen Militärdepartement. Dieses weigert sich jedoch, für den Schaden aufzukommen. Der Fall landet vor dem Bundesgericht… Daneben zeichnet die Folge die Entstehung der Gotthardbahngesellschaft und den unter prekären Arbeitsbedingungen erfolgten Bau des Gotthardtunnels nach. Gut 120 Jahre nach dem Bundesgerichtsentscheid kommt es im Gotthardbasistunnel erneut zu einer Zugentgleisung und einem riesigen Sachschaden. Wer wird dafür haften?

    BGE 110 II 360 – Credit Suisse

    Donnerstag, 14. April 1977: Eine Pressemitteilung der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) sorgt für helle Aufregung auf dem Schweizer Finanzplatz. Die SKA-Filiale in Chiasso soll während Jahren ausländische Kundengelder in Milliardenhöhe am Fiskus vorbei bei der Texon Finanzanstalt in Lichtenstein platziert haben. Die Leitung der Filiale Chiasso wird wegen ungetreuer Geschäftsführung und Urkundenfälschung verhaftet. In der Folge ist das Vertrauen in die SKA erschüttert. Die Schweizer Nationalbank bietet zusammen mit den anderen Grossbanken der SKA einen Notkredit über CHF 3 Mia. an, was die Märkte jedoch nur noch zusätzlich verunsichert. In der Folge kommt es zu Strafprozessen gegen die Verantwortlichen. Der Chiasso-Skandal führt zudem zu zivilrechtlichen Auseinandersetzungen, die schliesslich vor dem Bundesgericht landen (BGE 110 II 360).

    Nach dem Chiasso-Skandal expandiert die SKA ins Investment Banking. Als sie die amerikanische Investmentbank First Boston übernimmt und eine neue Konzernstruktur bildet, erhöht die Bankenkommission die Eigenmittelanforderungen. Die SKA fechtet die Verfügung vor dem Bundesgericht an (BGE 116 Ib 331). Es stellt sich die Frage, ob für die SKA ein erhöhtes Insolvenzrisiko besteht, falls ihre Schwestergesellschaft, die CS First Boston, in Schwierigkeiten geraten sollte.

    BGE 112 II 118 – Hunter-Absturz

    Am 23. August 1982 stürzt ein Hunter-Kampfjet beim Walliser Dorf Riddes ab. Beim Flugzeugabsturz kommen der 17-jährige Claude und sein 10-jähriger Bruder Frédéric ums Leben. Als dem Vater Angiolino Ganzerla die Botschaft vom Tod seiner zwei Söhne mitgeteilt wird, erleidet er einen schweren Nervenschock. Er muss medizinisch behandelt werden und ist in der Folge nur noch zu 50% arbeitsfähig. Das eidgenössische Militärdepartement weigert sich daraufhin beharrlich, für die Teilinvalidität des Vaters Schadenersatz zu leisten. Der Fall landet vor dem Bundesgericht. Ist die Schweizerische Eidgenossenschaft für den Schockschaden des Vaters schadenersatzpflichtig?